Hinweis

Für dieses multimediale Reportage-Format nutzen wir neben Texten und Fotos auch Audios und Videos. Daher sollten die Lautsprecher des Systems eingeschaltet sein.

Mit dem Mausrad oder den Pfeiltasten auf der Tastatur wird die jeweils nächste Kapitelseite aufgerufen.

Durch Wischen wird die jeweils nächste Kapitelseite aufgerufen.

Los geht's

MP3

Logo https://genialeideen.pageflow.io/mp3-23664

MP3 - eine geniale Idee

0:00
/
0:00
Video jetzt starten
Zum Anfang
0:00
/
0:00
Video jetzt starten
Zum Anfang

Vollbild
Karlheinz Brandenburg und seine Kollegen vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen und Erlangen waren in den 1980er und 1990er Jahren auf der Suche nach Verfahren, mit denen die notwendige Datenmenge für die Übertragung von digitalisierten Audiosignalen effektiv reduziert werden kann. Schnell wurde klar, dass das gewünschte Ergebnis allein mit mathematischen Verfahren nicht erzielt werden konnte – immerhin waren Datenreduktionraten im Bereich von 1:10 und mehr angepeilt.

Also untersuchten die Wissenschaftler gründlich den Hörapparat des Menschen. Unzählige Probanden mit überdurchschnittlichem Hörvermögen wurden in etlichen Hörtestreihen auf akustische Proben gestellt: Was kann das menschliche Ohr überhaupt hören? Unter welchen Bedingungen nimmt das Ohr, Töne gar nicht mehr wahr? Und wie sehr kann die Übertragungsqualität einzelner Töne reduziert werden, ohne dass es das Ohr übelnimmt? Diese Fragen sollten die „Goldenen Hörer“ mit den besonders guten Ohren beantworten. Die Forscher gingen davon aus, dass schon das Gehör jede Menge überflüssige Information herausfischt. Nicht alles wird in absoluter Genauigkeit vom Ohr erfasst und ans Gehirn geleitet, sondern nur ein Teil davon.

Grob vereinfacht macht MP3 etwas ganz Ähnliches wie das Gehör. Die Dinge, die auch vom Gehör nicht an die Nerven und ans Gehirn weitergegeben werden, werden auch bei MP3 nicht weitergegeben. Die Forscher fanden Effekte wie Maskierung in ihren Testreihen heraus. Leise Töne zum Beispiel können von lauten verdeckt werden. Oder die Tatsache, dass das Ohr nicht alle Töne mit gleicher Präzision wahrnehmen kann, also auch die dafür nötigen Daten nicht unbedingt erforderlich sind.

Viele solcher psychoakustischen Effekte können eingesetzt werden, um Datenbits einzusparen. Dazu wird das Audiosignal mit sogenannten Filterbänken in eine sogenannte Zeit-Frequenz-Darstellung überführt. Bei MP3 sind es 576 Kanäle, die dann eingehender analysiert werden. Mit den in den Hörtests herausgefundenen psychoakustischen Modellen wurde dann abgeschätzt, welche Signalbestandteile mit welcher minimalen Genauigkeit quantisiert werden dürfen, ohne dass der Quantisierungsfehler stört. Die restlichen Daten werden dann mit einem bekannten mathematischen Verfahren, der Huffmann-Codierung, geschickt verpackt.

Schließen
Zum Anfang
0:00
/
0:00
Video jetzt starten
Zum Anfang
0:00
/
0:00
Video jetzt starten
Zum Anfang

Warum ist die Idee genial?

Vollbild
Die Aufgabenstellung für die Entwickler von MP3 kam gar nicht aus der Musikindustrie, sondern aus dem Rundfunk- und Fernmeldebereich. Es ging zunächst eigentlich darum, digitalisierte Musik oder Sprache ohne dramatische Qualitätsverluste über schmalbandige Übertragungswege schicken zu können.

Auch den Gründungsdirektor des Fraunhofer-Institutes für Integrierte Schaltungen (FhG IIS) und Professor für Elektrotechnik an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen, Dieter Seitzer, trieb dieses Problem um. Er suchte nach Anwendungen für das damals noch hochmoderne digitale Telefonnetz ISDN. Er wollte sogar zusammen mit einem Kollegen ein Patent dazu anmelden. Das allerdings wurde ihm verwehrt, weil der Patentprüfer nicht an die Machbarkeit glaubte.

Seitzer allerdings ließ das Thema nicht los. Er suchte unter seinen Studenten Kandidaten, die der Sache auf den Grund gehen wollten und bildete eine Forschungsgruppe. Auch Karlheinz Brandenburg meldete sich bei Seitzer und machte aus dem Thema seine Doktorarbeit mit dem Titel „Ein Beitrag zu den Verfahren und der Qualitätsbeurteilung für hochwertige Musikcodierung“.

Schnell war dem IIS-Kernteam um Karheinz Brandenburg, Ernst Eberlein, Heinz Gerhäuser, Bernhard Grill, Jürgen Herre und Harald Popp klar, dass sie für die gestellte Aufgabe quasi „die Luft aus der Musik rauslassen“ müssen. 1987 fingen sie an, Verfahren zu entwickeln, mit dem die notwendigen Daten zur Übertragung oder Speicherung digitalisierter Musik und Sprache erheblich reduziert werden konnten. Zunächst weiter mit dem Ziel, ein Gerät zu bauen, mit dem Rundfunksendungen digital über das digitale Telefonnetz abgewickelt werden können.Das ist ihnen mit MP3 auch gelungen, die Audioübertragung von Ereignissen und Konzerten über ISDN gehörte lange Zeit zu den Standardproduktionsmitteln der Rundfunkanstalten.

Doch das eigentlich geniale an MP3 ist die Befreiung der Musik von einem Tonträger wie der Schallplatte, der Musik-Cassette oder der CD. Musik würde überall verfügbar.

Schließen
Zum Anfang
0:00
/
0:00
Video jetzt starten
Zum Anfang

Was hat MP3 verändert?

0:00
/
0:00
Video jetzt starten
Zum Anfang

Vollbild
Der Weg zum endgültigen MP3-Standard führte allerdings über einige Zwischenschritte. So wurde in Erlangen der damals bereits theoretisch entwickelte LC-ATC-Algorithmus (Low Complexity Adaptive Transform Coding) auf Hochleistungsrechner erprobt und verbessert. Der nächste Meilenstein war der OCF-Algorithmus (Optimum Coding in the Frequency Domain), bei dem schon viele Aspekte von MP3 berücksichtigt wurden. OCF war damals in der Lage, ein Mono-Musiksignal ohne große Qualitätseinbußen von 768 KBit/s auf nur 64 KBit/s zu reduzieren – das entspricht einer Datenreduktion von etwa 1:12.

Mit OCF startete das IIS 1989 auch seine Beteiligung an der Entwicklung eines neuen Audiostandards für die Moving Picture Experts Group, kurz MPEG. Aus diesen Entwicklungen für MPEG gingen im Wesentlichen zwei Algorithmen hervor, nämlich ASPEC (Adaptive Spectral Perceptual Entropy Coding) und MUSICAM. Für das ASPEC-Verfahren, quasi der unmittelbare Vorläufer von MP3, baute das IIS 1990 auch Hardware, die im praktischen Einsatz die Machbarkeit der Verfahren unter Beweis stellen sollte.

Tatsächlich kamen die Aspec-Geräte beim Rundfunk auch zum Einsatz, nämlich 1992 anlässlich der Olympischen Winterspiele im französischen Albertville. Auf nur einem ISDN-B-Kanal mit 64 Kbit/s konnten so Reportagen kostengünstig übertragen werden. Damit war MP3 zwar im kommerziellen Einsatz, doch der Durchbruch ließ auf sich warten.

Das konkurrierende Verfahren MUSICAM machte sich dagegen beim Rundfunk breit, zumal das Forschungsinstitut der öffentlich-rechtlichen Sender, das Institut für Rundfunktechnik in München IRT, sich maßgeblich an der MUSICAM-Entwicklung beteiligte.

Auch die Musikindustrie war zuerst von dem neuen Verfahren nicht zu überzeugen. Denn das Geschäft mit den CDs als Nachfolger der Schallplatten lief prächtig – Innovationen waren bei den Musikmanagern eher unerwünscht, zumal es damals auch noch kaum Abspielgeräte für Musik aus Dateien gab. Auch Inhalte selbst waren rar – Musiktitel in MP3 codiert waren schlichtweg noch nicht breit verfügbar.

Da kamen die Erlanger eher aus Geldnot auf eine Idee, die man heute als „disruptiv“ bezeichnen würde. Sie brachten einen Shareware-MP3-Encoder und -Decoder auf den Markt. Damals für die legendären 286er-Rechner in der AT-Klasse. Die Kostenlos-Version war zwar in der Funktion beschränkt, um potentiellen Interessenten die Möglichkeit zum Test zu geben, sie aber letztlich zum Kauf zu animieren. Doch die Free-Version wurde schnell gehackt und verbreitete sich in Windeseile, urplötzlich waren Millionen von Stück im Umlauf. Zwar kam MP3 durch diesen Angriff MP3 richtig in Fahrt, allerdings nur durch die Unfairness der Hacker.

Filesharing-Plattformen mit illegal kopierter Musik und per MP3 codiert schossen in der Folge aus dem Boden. Sie versetzten nicht nur die Musikindustrie in Angst und Schrecken, sondern auch zahlreiche Eltern, die sich urplötzlich mit Anzeigen der Musikindustrie gegen Ihre Sprösslinge wegen Urheberrechts-Verletzungen konfrontiert sahen.


Schließen
Zum Anfang
0:00
/
0:00
Video jetzt starten
Zum Anfang

Die Rolle der Musikindustrie

Vollbild
Die Musikindustrie hat MP3 zunächst einmal ignoriert, später verteufelt, weil die Sharing- und Download-Plattformen das CD-Geschäft mächtig störten. Doch mit dem anfänglichen Desinteresse hat sie sich über lange Zeit selbst geschadet, statt über neue Geschäftsmodelle nachzudenken.

Erst die kommerziellen Streamingdienste wie Apple Music oder Spotify haben zwangsweise für ein Umdenken gesorgt. Musik wird heute gestreamt und die Nutzerinnen und Nutzer zahlen dafür.

Die Forscher in Erlangen haben sich in der Zwischenzeit auch nicht auf den Lorbeeren ausgeruht, die ihnen MP3 und die damit verbundene Patentierung einbrachten. Beständig wurden Codierverfahren verbessert und weiterentwickelt, angetrieben vor allem durch den Boom in der Mobilfunkbranche.

Auch wenn in modernen Streamingservices heute verbesserte Verfahren zum Einsatz kommen: MP3 ist immer noch nicht nur ein beliebtes Codierverfahren für Musik, sondern das globale Synonym für digitalen, zeitsouveränen Musikgenuss überall.

Schließen
Zum Anfang
0:00
/
0:00
Video jetzt starten
Zum Anfang

Die Datenreduktion geht weiter

Vollbild
MP3 war nicht nur der Startschuss für eine neue Form des Medienkonsums. Es war gleichzeitig auch der Beginn eines anhaltenden und intensiven Entwicklungsprozesses zur Daten-Reduzierung von Audiosignalen.

Mit der einsetzenden Digitalisierung der Mobilfunknetze in den 1990er Jahren und dem anschließenden Technologiewechsel von leitungsvermittelten Telefonaten hin zur integrierten paketorientierten Übertragung von Daten und Gesprächen in den LTE-Netzen wurden die Anforderungen an die Audio-Komprossionsverfahren immer härter. Zunächst ging es um immer höhere Reduktionsraten, vor allem durch die Konzentration auf reine Sprachübermittlung. Mit dem Siegeszug der Smartphones allerdings bestimmten immer mehr die Anforderungen an die Übertragungstreue sowie Verständlichkeit bei gleichzeitig niedriger Verzögerung (Latenz) die Entwicklungen.

Heute arbeiten die Forscher des Fraunhofer-Institutes in Erlangen bereits an der vierten Generation von Daten-Reduktionssystemen. Sie gehören auch dank ihrer mit MP3 gewonnenen Erfahrung und Reputation zu den führenden Entwicklern weltweit auf diesem Gebiet.


Schließen
Zum Anfang
0:00
/
0:00
Video jetzt starten
Zum Anfang
Scrollen, um weiterzulesen Wischen, um weiterzulesen
Wischen, um Text einzublenden